Hilfsprojekt in Georgien
Tagebucheintrag vom 27. Mai 2007
„Behinderte gibt es hier nicht“
„Dies ist jedenfalls die offizielle Version der Regierung über lange Jahre hinweg gewesen“, erklärt uns Heidi Schmachtenberg, Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Behindertenhilfe in Georgien. Bis heute hat sich nichts Wesentliches daran geändert.
Schweres Erbe
Natürlich gibt es in Georgien auch behinderte Menschen, und in manchen Regionen wie Rustawi sogar überdurchschnittlich viele. Möglicherweise liegt das daran, dass bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 viele Einwohner des Ortes in der Schwermetallindustrie beschäftigt waren, und die Umweltvorschriften kaum irgendwelchen Standards entsprachen. Doch bewiesen ist natürlich nichts. Heidi Schmachtenberg weiß wovon sie spricht. Schließlich gibt es den von ihr gegründeten Verein seit über zehn Jahren und hat schon einiges in Tiflis und Umgebung bewegt.
Ignoranz und Integrationsprobleme
Offiziell gibt es sie also nicht in Georgien – die Behinderten. Also werden seitens der Regierung auch keinerlei Anstrengungen unternommen, geistig oder körperlich behinderten Menschen in irgendeiner Weise das Leben zu erleichtern: keine Aufklärung und damit kaum Verständnis in der Bevölkerung, keine Beratungsstellen, keine Hilfsmittel oder gar finanzielle Unterstützung. Schlimmer noch: Eltern, die ein behindertes Kind bekommen haben, wissen sich kaum zu verhalten und verbergen ihre „Sorgenkinder“ zu Hause fernab jeder sozialen Integration. Kindergärten oder Schulen für Behinderte gibt es so gut wie nicht, offizielle Ansprechpartner für ein solches Thema ebenso wenig. Oft herrscht völlige Ratlosigkeit.
„Konsultationscentren“ als einzige Ansprechpartner
Der Solinger Verein von Heidi Schmachtenberg hat in einem Teil der Schulen in Tiflis und in Rustawi je ein „Konsultationscentrum“ gegründet. Diese erfüllen im Wesentlichen zwei Aufgaben: Zum einen sind Sie Anlaufstellen für Rat suchende Eltern mit behinderten Kindern. Der Bedarf ist enorm. Allein in Rustawi leben über 850 behinderte Kinder. Davon werden lediglich 67 in der einzigen integrativen Schule oder der Beratungsstelle betreut. Die Kinder werden von den Konsultationscentren gründlich untersucht. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln werden Diagnosen über die Behinderung erstellt und Empfehlungen für die weitere Behandlung oder Unterbringung in anderen Institutionen erteilt. Die Diagnose, d.h. die Feststellung der Schwere und Art der Behinderung, ist jedoch ohne geeignetes Material schwierig. „Die Empfehlungen könnten noch viel besser werden, wenn es ein geeignetes, systematisches Verfahren zur Untersuchung gäbe“, so Eka Matschawariani, die Projektleiterin in Rustawi.
Spielerische Therapien
Außerdem übernimmt das Konsultationscentrum die Frühförderung der Kinder. Mit Übungen, Spielen, Musizieren, Handwerken etc. werden die zum Teil schwer behinderten Jungen und Mädchen so lange gefördert, bis sie in Kindergärten oder Schulklassen integriert werden können. Keine leichte Aufgabe, denn nur zu oft fehlt es an den einfachsten Mitteln wie geeignetes Spielzeug, Buntstifte oder Malbücher.
Sachspenden sollen helfen
Wir wollen hier ein wenig Hilfestellung leisten. Schließlich ist schon einiges an Spendengeldern zusammen gekommen. Wir beschließen im Rahmen unseres ersten Projekts, der Beratungsstelle in Tiflis und in Rustawi Sachspenden in Höhe von 500 Euro zukommen zu lassen. Angeschafft wird davon für Tiflis ein dringend benötigter „Diagnosekoffer“ für eine wissenschaftlich fundierte Bestimmung der Behinderungen. „Endlich hat unsere Beratung noch mehr ‚Hand und Fuß’ und gewinnt dadurch erheblich an Qualität“, strahlt die Leiterin der Beratungsstelle, Lali Abiatari als sie den Koffer entgegennimmt.
Spielzeug für Rustawis „Sorgenkinder“
Noch dringender benötigt werden – besonders in Rustawi – weitere, ganz praktische Mittel, wie Spielzeug für die Kinder. Daher setzen wir uns am nächsten Tag die Motorräder und besuchen das 30 Kilometer entfernte Rustawi. Die einstige Industriestadt zeigt sich heute völlig verarmt. Hochhäuser in erbärmlichen Zuständen reihen sich aneinander, mehr als jeder Zweite ist arbeitslos, die Straßen sind gefüllt mit Menschen, denen die Resignation ins Gesicht geschrieben steht.
In der Beratungsstelle inmitten des Hochhauswaldes täte Unterstützung wirklich gut. Weitere 250 Euro haben wir daher in das vielfach von den Pädagogen gewünschte (Holz-) Spielzeug investiert.
Die Freude über die neuen Materialien ist riesig bei den acht festen Mitarbeitern und den zum Teil schwer behinderten Kindern. Als wir die leuchtenden Augen der Kinder sehen und die wortlose Dankbarkeit, der nur russisch und georgisch sprechenden Betreuer spüren, wissen wir, dass das Geld sehr gut angelegt ist. Allen Spendern an dieser Stelle und auch im Namen von Ekaterina Matschawariani und Lali Abiatari, den Leiterinnen der Beratungszentren, ein riesengroßes Dankeschön. Dennoch, dies ist erst unser erstes Projekt und es sind noch etliche Kilometer übrig, die für weitere Hilfsprojekte verkauft werden sollen.