Setouchi – Japans unbekanntes Binnenmeer
Zwischen den drei japanischen Hauptinseln Honshu, Shikoku und Kyushu liegt das Seto-Binnenmeer. Es ist ein 450 Kilometer langes Gewässer. Die Region trägt den Namen Setouchi und ist umgeben von den sieben Präfekturen Hyogo, Okayama, Hiroshima, Yamaguchi, Tokushima, Kagawa und Ehime. Das größte Binnenmeer Japans liegt für Besucher bis heute nur selten auf der Reiseroute. Dabei hatte diese Gegend schon vor mehr als 150 Jahren berühmte Fürsprecher. Der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen bereiste sie 1860 und war tief beeindruckt von der Schönheit des Binnenmeeres mit seinen mehr als 3000 Inseln, die in allen Größen und zumeist grün aus dem ruhigen Meer ragen.
Ein Jahrzehnt nach Richthofen machte sich der Brite Thomas Cook, der als Erfinder der Pauschalreise gilt, auf nach Japan. Es ist kaum zu glauben, aber das Seto-Binnenmeer lag 1873 auf der Route der ersten jemals organisierten Weltreise. Noch heute ist Setouchi mehr Geheimtipp als Pflichtprogramm einer Japanreise. Dabei hat die Region nicht nur schöne Natur zu bieten, sondern auch Kunst und Architektur von Weltrang, historisch bedeutsame Stätten, teils mit der Auszeichung Unesco Weltkulturerbe. Darüber hinaus bietet Setouchi mit sieben Präfekturen jede Menge kulinarische Highlights.
Die Hafenstadt Takamatsu
Takamatsu, die Hauptstadt der Präfektur Kagawa, ist strategisch gut gelegen, um das Hinterland der Hauptinsel Shikoku zu besuchen. Der Hafen von Takamatsu ist zudem ein idealer Startpunkt für Tagesausflüge zu den Kunstmuseen auf den Inseln Naoshima und Teshima im Seto-Binnenmeer. Die historische Hafenstadt Takamatsu ist berühmt für beste Udon-Nudeln, kilometerlange Einkaufspassagen und eine der schönsten Parkanlagen Japans, den Ritsurin-Kōen. Im Herbst hebt Abendbeleuchtung die Laubfärbung der Bäume im Ritsurin-Kōen Park hervor. In Japan sind die Menschen verrückt nach Kirschblüten, die ab März den Einzug des Frühlings ankündigen; sie verfolgen auch die sich von Norden nach Süden wandernde Laubverfärbung mit großer Begeisterung. Die Natur hat hierfür in Japan eine große Spielfläche, denn Zweidrittel des Landes ist von Wäldern bedeckt.
Tipp: Restaurant Saketoryorino Natsu – von der Autorin ausprobiert
Die Hafenstadt Takamatsu ist bekannt für Fisch- und Meeresfrüchte. In den Restaurants werden oft Fischmenüs angeboten. Sashimi, roher Fisch in feine Scheiben geschnitten, gehört als Gang genauso dazu wie eine Suppe mit Udon-Nudeln.
1-4-10 Kawaramachi, Takamatsu 760-0052 Kagawa Prefecture
hirai-shokutsuu.com/restaurant
Iya-Tal und Oboke-Schlucht
Reisfelder und vor allem Wald und Berge sind prägend für Shikoku, der kleinsten der japanischen Hauptinseln. Hier geht es weitaus geruhsamer zu als auf der belebten Hauptinsel Honshu. Japanreisende begegnen in dieser Region Kulturgeschichte und ursprüngliche Natur gleichermaßen. Auf Shikoku liegt der für Pilger wichtige 1400 Kilometer lange 88-Tempel-Weg. Auch das wilde Iya-Tal ist Anziehungspunkt für Reisende. Hier findet man noch traditionelle japanische Häuser und sogar historische Hängebrücken. Einst spannten sich über den bei Sonnenlicht türkis schimmernden Yoshino-Fluss 13 dieser Hängebrücken. Die wuchtigen Brücken sind aus Weinreben verschiedenster Dicke geflochten. Drei von ihnen sind heute noch zugänglich und Besucher können die wackelnde Konstruktion aus einer Richtung kommend überqueren. Wer dem Wasser des Yoshino noch näherkommen möchte, kann auch eine River Cruise-Tour durch die Oboke-Schlucht unternehmen oder Rafting-Touren auf dem Oboke-Fluss.
Onsen, die heißen Thermalquellen, sind in Japan allgegenwärtig. Das Iyaonsen Hotel hat eine spektakuläre Hanglage. Die heißen Quellen am Iya- Fluss liegen unterhalb des Hotels und wurden 1924 entdeckt. Seit 1984 führt eine Kabelbahn vom Hotel hinunter zu den Bädern. Auch Tagesgäste können das Bad besuchen. In einem steilen Winkel von 42 Grad bringt die Kabelbahn die Badegäste in fünf Minuten in das am Iya-Fluss gelegene Badehaus. Der Onsen verfügt über getrennte Becken für Frauen und Männer. Im warmen Wasser liegend, blickt man auf den Fluss und die steilen Hänge, die fast bis zum Flussufer mit Bäumen bewachsen sind. Es ist ein Ort vollkommener Entspannung.
Tipp: Onsen – von der Autorin ausprobiert
Hotel Iyaonsen. Heiße Quellen direkt am Iya-Fluss. Eine Kabelbahn bringt die Badegäste vom Hotel hinunter in den Onsen. Malerische Lage, von den Außenbecken blickt man auf den Fluss und das enge Tal.
Hotel Iyaonsen, 367-28 Matsumoto, Matsuo, Ikeda Cho, Miyoshi City, Tel. 0883-75-2311
www.iyaonsen.co.jp
Trotz aller Naturschönheiten und kultureller Attraktionen rund um das Seto-Binnenmeer ist Setouchi stark von Überalterung und Bevölkerungsrückgang betroffen. In der Förderung des Tourismus sieht man eine Chance, diese Entwicklung zu stoppen. Für junge Menschen aus der Stadt soll ein Leben auf den Inseln im Binnenmeer oder in den Dörfern im Hinterland wieder eine Perspektive bieten.
Nagoro – das Dorf der Vogelscheuchen
Es gibt einen Ort, da leben Menschen und Vogelscheuchen friedlich zusammen. Dies ist nicht der Beginn eines Märchens, sondern der Untertitel einer kleinen Touristenbroschüre. Im Dorf Nagoro im östlichen Iya-Tal leben nur noch 27 Menschen, aber mehr als 300 lebensgroße Puppen. 2002 stellte Tsukimi Ayano ihre erste Puppe her. Es war tatsächlich eine Vogelscheuche und sollte die Vögel davon abhalten, das Buchweizenfeld ihres Vaters zu plündern. Diese erste Puppe von Nagoro hatte große Ähnlichkeit mit dem Vater und die Leute im Dorf begannen, die Vogelscheuche auf dem Feld zu grüßen und mit ihr zu reden, so erzählt es Tsukimi Ayano. Also erschuf sie weitere Puppen, zuerst waren es Vertreter verstorbener Dorfbewohner, später dann frei erfundene Kreationen. 2013 besuchte der deutsche Austauschstudent Fritz Schumann Nagoro und drehte einen Film über das Dorf der Puppen. Das Video ging viral, viele Medienvertreter aus aller Welt besuchten Frau Ayano und berichteten über „Scarecrow-Village“. Ihnen wiederum folgten viele japanische Besucher und auch internationale Touristen.
Links und rechts der einzigen Straße sitzen und stehen die Puppen. Sie arbeiten auf dem Feld, angeln am Fluss, sammeln Holz, schüren ein Feuer, warten an der Bushaltestelle oder stehen in Gruppen vor dem ehemaligen Lebensmittelgeschäft, in dem sich heute die Werkstatt von Tsukimi Ayano befindet. Menschliche Dorfbewohner sieht man keine. So schön sich die Geschichte vom Vogelscheuchen-Dorf und der eher zufällig erlangten Berühmtheit auch erzählt. Ist man vor Ort und läuft durch das Dorf, fühlt es sich nicht wie eine Erfolgsgeschichte an. Zu stumm, zu leblos und oftmals auch verblichen und gekrümmt stehen die Puppen in der Landschaft. Bei nur noch 27 zumeist sehr alten menschlichen Bewohnern, fehlt ein lebendiger Kontrast. Junge Menschen sind seit dem Medienhype um Scarecrow-Village nicht nachgezogen. Zum Einkaufen müssen die Menschen immer noch weit fahren und die einzige Errungenschaft des Dorfes ist ein sehr modernes Toilettenhaus für die Touristen, die sich auf den weiten Weg machen. Nagoro ist mit dem Bus von Bahnhof Oboke in einer mehr als einstündigen Fahrt zu erreichen.
Naoshima Art Island – Kunst und Architektur von Weltrang
Die Museumsinsel Naoshima ist über die Jahre zu einem Anziehungspunkt für Fans zeitgenössischer Kunst und Architektur geworden. In enger Zusammenarbeit mit der Stifterfamilie Fukutake, stammen gleich drei große Museumsbauten aus der Planung des weltberühmten Architekten Tadao Ando. Auch im Freien warten überall auf der Insel Skulpturen, Installationen und avantgardistische Wohnhäuser auf die Besucher.
Unter dem Sammelbegriff Benesse Art Site entstehen seit 1987 kunstbezogene Aktivitäten auf den Inseln Naoshima, Teshima und Inujima. Ziel der Stiftung ist es, relevante Räume zu schaffen, indem zeitgenössische Kunst und Architektur in Einklang mit der unberührten Natur des Seto-Binnenmeeres gebracht werden. Die Bewohner der Inseln sollen teilhaben. Das über Jahrzehnte währende Engagement der Benesse Foundation hat Früchte getragen. Die Inselbewohner profitieren vom Tourismus und neu geschaffenen Arbeitsplätzen für jüngere Menschen. Auch die Natur auf diesen Inseln hat sich dank einer konsequenten Renaturierung erholt. Insbesondere die Insel Teshima war durch Kupferminen und illegale Mülldeponien beinahe unbewohnbar geworden.
Schnellboote und Fähren pendeln regelmäßig zwischen den Inseln. Die Fahrtzeiten vom Hafen Takamatsu nach Teshima und Naoshima betragen zwischen 30 und 45 Minuten. Auf den Inseln können Besucher E-Bikes für die Besichtigung der verschiedenen Kunsteinrichtungen mieten. Für jede Insel sollte man sich mindestens einen Tag Zeit nehmen. Direkt am Hafen von Naoshima leuchtet den Besuchern schon der Red Pumpkin von Yayoi Kusama entgegen. Kusama ist die berühmteste japanische Künstlerin. Ihr roter Kürbis mit den schwarzen Polka Dots ist sogar begehbar und somit maximal Instagram-tauglich.
Text/Fotos: Angela Berg
Weitere Informationen
JNTO - Japan National Tourism Organisation www.japan.travel
Setouchi setouchitrip.com
Setouchi Kunst Triennale setouchi-artfest.jp
Benesse Art Site Naoshima benesse-artsite.jp
Oboke Iya Tourist Navigation miyoshi-tourism.jp
Japan 151 - Reiseführer mit 151 Momentaufnahmen von Fritz Schumann, Conbook Verlag