Irlands Osten
Es grünt so grün in Irlands Gärten
Wilde Natur statt blühender Landschaften? Von wegen. Auf der Atlantikinsel gibt es kein Entweder-oder. So schwelgt man etwa in der Grafschaft Wicklow als Kontrastprogramm zur gleichnamigen Bergregion in zauberhaften Gartenfantasien.
Atemberaubende Klippen, von wütenden Wellen eines aufgewühlten Ozeans attackiert. Einsame Moor- und Berglandschaften. Weiden mit glücklichen Kühen und buntgescheckte Felder, von Mauern und Hecken parzelliert. Pummelige Schafe, die sich durchs Grün fräsen. Burgen und Klöster voller Mystik und Magie. Alles Bilder, die unsere Vorstellung von Irland nähren. Und dabei eines vergessen: die zauberhaften Gärten der Atlantikinsel – teils Jahrhunderte alt und verschieden in „Machart“ wie Stil, in denen, dem milden Klima sei Dank, nicht nur Heimisches gedeiht. Heute wie damals, als irische Seefahrer und Reisende von ihren Fahrten um die Welt exotischste Gewächse mit zurückbrachten.
Ebenso berühmt wie spektakulär, tun sich unter Irlands Gartenschönheiten Powerscourt House and Gardens hervor – im Osten des Landes nahe dem Städtchen Enniskerry gelegen und lediglich 20 Kilometer von der Kapitale Dublin entfernt. Bevor 1961 die Slazengers das riesige Anwesen kauften, hatte hier über 350 Jahre die Familie Wingfield das Sagen. Eine lange, etwas unübersichtliche und zweimal mangels männlicher Nachkommenschaft unterbrochene Reihe an Viscounts – beginnend mit Richard Wingfield, der Anfang des 17. Jahrhunderts unter Elizabeth I. und Jakob I., belohnt für seinen Einsatz im Dienste der Krone, in den Besitz einer mittelalterlichen Burg samt Ländereien und Adelstitel kam. Im Laufe von Generationen veränderte sich Powerscourt. Ab 1730 wurde die Burg in ein prächtiges, 68 Zimmer zählendes Herrenhaus verwandelt und mehrmals umgebaut. Gartenpläne wurden entwickelt und verwirklicht.
Umrahmt von alten Bäumen, die einst in fernen Ländern gesammelt wurden, fügen sich, geschmückt mit Statuen und Wasserspielen, die Gärten derjenigen Wingfields mit grünem Daumen zu einem 19 Hektar großen Gesamtkunstwerk: der ummauerte Garten mit Irlands längster Staudenrabatte, der Haustierfriedhof inmitten einer Löwenzahnwiese, wo die Kuh Eugenie, Cockerspaniel Jack und andere geliebte Vierbeiner der beiden Familien zur letzten Ruhe gebettet wurden, der Japanische Garten mit seiner Pagode zwischen Azaleen und asiatischem Ahorn, die Grotte aus versteinertem Torfmoos und das Turmtal. Vor allem aber der Italienische Garten, „für dessen Bau 100 Männer über zwölf Jahre brauchten“, wie Chefgärtner Alex Slazenger weiß. Der Architekt Daniel Robertson hatte die terrassierte Anlage über dem Tritonsee Mitte des 19. Jahrhunderts geschaffen. Und den sensationellen Blick auf den kahlen Gipfel des Sugar-Loaf-Bergs gab die Natur als wilde Hintergrundkulisse gratis dazu.
Besonders schön zeigt sich dieser Garten vom unteren Ende des Sees: wenn man über dessen von Teichrosen bedrängtes Wasser schaut, hinter dem viele Stufen die begrünten Terrassen halbieren und sich bis zur Aussichtsterrasse nach oben mühen. Dorthin, wo das Herrenhaus steht – nach einem Brand in den 1970er Jahren nicht mehr original, aber immer noch von einschüchternder Herrschaftlichkeit.
Wenige Kilometer südlich entspringt unter dem Great Sugar Loaf das Flüsschen Vartry. Ihm käme wohl kaum eine größere Bedeutung zu, würden wir ihm auf seinem nur 33 Kilometer langen Lauf nicht im Dorf Ashford und dort in einem weiteren namhaften Garten der Grafschaft Wicklow begegnen. Kurz vor seiner Mündung in die Irische See durchstreift das schmale Wasser die acht Hektar messenden Mount Usher Gardens – als eine seiner Hauptattraktionen. Anders als Powerscourt in seiner großteils formalen Gestaltung folgt die Anlage der Philosophie von William Robinson (1838-1935), der ein Faible fürs wilde Gärtnern hatte. Doch ist die Geschichte Mount Ushers nicht die des legendären irischen Gärtners, der mit der gekünstelten Art viktorianischer Mustergärten nichts am Hut hatte. Sie beginnt vielmehr mit einem vermögenden Tuchfabrikanten aus Dublin, der ebenso gern wie oft zum Wandern in die Gegend kam. Edward Walpole war sein Name.
Jener Edward schloss auf seinen Touren Freundschaft mit dem Müller Sam Sutton und bezog schon bald bei ihm Logis. Als dessen Pacht 1868 auslief, übernahm Edward die Mühle und machte sich, unterstützt von seinen Söhnen, auf in ein großes florales Abenteuer. „Mit gerade mal einem Acre Land rund um das Haus startete Edward mit dem, was heute die Mount Usher Gardens sind“, beschreibt Chefgärtner Sean Heffernan die Anfänge der vier Generationen währenden Familiengeschichte um einen der weltweit bedeutendsten robinsonschen Wildgärten. „Die Walpoles verehrten William Robinson“, so Heffernan, und in seinem Sinne gestalteten sie in über 100 Jahren einen durch Landzukäufe stetig gewachsenen Garten, der in Harmonie mit der Natur war. Und auch nach dem Verkauf an die bekannte Dressurreiterin Madelaine Jay 1980 blieb der Garten, wie er war – ergänzt durch neue Biorichtlinien.
Im Zentrum von Mount Usher steht sein Haus, das 1927 die baufällige Mühle ersetzte und nun die Erben von Mrs. Jay beherbergt. Unterhalb davon fließt, von Wehren gestaut und Brücklein überspannt, der Vartry, der den Garten zerteilt. Bäume und Sträucher im Uferbereich neigen sich weit übers Wasser und betrachten ihr Blattwerk im Spiegel des stillen Flüsschens. Wege, oft eng wie Pfade, winden sich vorbei an über 4000 Pflanzenarten aus aller Herren Länder, entlang von Wiesen, Hecken und Rabatten. Jede Jahreszeit verleiht dem Garten dabei seinen eigenen Charme. Übersatt an Düften der Sommer – wenn ganz große wie ganz kleine Stauden Bienen und Schmetterlinge auf ihre Blüten locken. Wenn Lupinen, Zierlauch oder Cosmeen die Blumenbeete zwischen Eichen und Magnolien in einen Farbenrausch versetzen. Wenn alles sprüht vor Leben in diesem verwunschenen Dschungel, den talentierte Gärtner bis heute zu einem Spiegel der Natur machten.
Trotz aller Natürlichkeit sind die Mount Usher Gardens eine Illusion, denn jede Pflanzung ist geplant, alles ist durchdacht. Doch auch echte Wildnis muss man in der Grafschaft Wicklow nicht lange suchen. Jenseits der Küstenebene und der romantischen Gartenfantasien von Powerscourt wie Mount Usher erheben sich die Höhen der Wicklow Mountains, die zum großen Teil Nationalpark-Gebiet sind: über 20.000 Hektar geschützte Flächen, in denen seltene Orchideen und scheue Wanderfalken zuhause sind. Eine Landschaft mit waldreichen Tälern und Hochmooren, Seen und Bächen, wie gemacht für Wanderer. Die lassen sich nicht zweimal bitten und tauschen nur zu gern Handtäschchen und Sandalen der Gartenflaneure gegen Rucksäcke und derbes Schuhwerk.
Mit eine der schönsten Gegenden des Wicklow-Mountains-Nationalparks findet sich in Glendalough. Berühmt für seine frühmittelalterliche Klostersiedlung, deren Gründung durch St. Kevin aufs 6. Jahrhundert zurückgeht, zieht das „Tal der zwei Seen“ nicht nur Wanderer und Pilger in die abgeschiedene Welt des Heiligen. Was für ein Ort zwischen dicht bewaldeten Bergen und umspült von den Wassern eines Baches, in dem Rehe gern ein Bad nehmen. In die alte Klosterstadt sollte man frühmorgens oder abends kommen. Wenn die Touristen noch nicht da oder schon wieder gegangen sind. Wenn es still, ganz still und nur noch das Zwitschern der Vögel zu hören ist. Wenn man voller Andacht zwischen Rundturm und Kevinskirche inmitten von Ruinen steht und über die gebeugten, wie vom Wind aus dem Gleichgewicht gebrachten, verwitterten Grabsteine blickt.
Text und Fotos: Sabine Mattern
Informationen
Anreise
z.B. Flug nach Dublin und weiter per Mietwagen
Unterkunft
Powerscourt Hotel Resort & Spa: 5-Sterne-Nobeladresse im Palladio-Stil auf dem Powerscourt-Anwesen, elegantes Wohnambiente in 198 Zimmern und Suiten. powerscourthotel.com
The Glendalough Hotel: einfaches Landhotel mit altmodischem Charme direkt neben der „Monastic City“ von Glendalough, beliebt bei Wanderern. glendaloughhotel.com
Die Gärten
Öffnungszeiten und Eintrittspreise unter powerscourt.com und mountushergardens.ie. Unter anderem Avoca (seit 2007 Betreiber von Mount Usher) bietet neben Kulinarischem Gelegenheit zum Shoppen von irischem Design (Kleidung, Geschenke u.a.).
Powerscourt Wasserfall
121 m hoher Wasserfall (Irlands höchster!), 6 km abseits der Gärten und von dort am besten per Auto erreichbar (fehlende Wanderwege). Öffnungszeiten und Eintrittspreise unter powerscourt.com
Weitere Infos
ireland.com