Mal-Stationen einer Reise ins Mittelrheintal
Wie mag eine Reise zur Loreley im August 1817 ausgesehen haben? Auf der „William-Turner-Route“ geht es deshalb auf Entdeckungstour.
Die weltberühmten lichtdurchfluteten Gemälde William Turners zählen zu den wichtigsten und populärsten Werken der Rheinromantik. Der Künstler des 19. Jahrhunderts, der als Wegbereiter des Impressionismus gilt, reiste mehrfach auf Motivsuche an den Mittelrhein und auch an die Mosel. Während andere Kreative das Sehnsuchtsziel Italien erkundeten, faszinierte Turner die Erhabenheit der rheinischen Landschaft mit ihren steilen, weinbewachsenen Hängen, Burgen und Ruinen. Turners genaue Beobachtungsgabe und sein ausgeprägtes Gespür für Dynamik und Lichtspiele hinterließen zahlreiche Aquarelle, die auf unzähligen Skizzen seiner Rheinreisen basieren. Exemplarisch für sein Oeuvre ist Turners erster Aufenthalt am Rhein im Sommer 1817, in dem er Naturpanoramen, Stadtansichten und menschliches Treiben mit fast fotografischer Präzision festhielt und mit individuellem malerischen Duktus komponierte und collagierte.
Der William-Turner-Platz in St. Goar
Seine Momentaufnahmen am poetisch verklärten deutschen Strom „Vater Rhein“ füllen insgesamt drei Skizzenbücher. Eines davon trägt den Namen „Waterloo and Rhine“. Die Meisterwerke von William Turner, die dem Auftaktbesuch zwischen Koblenz und Bingen zuzuordnen sind, werden in bedeutenden Museen wie der „National Gallery London“ oder in Privatsammlungen aufbewahrt. Als eine Art von Kulturspeicher wurde 2018 anlässlich des 200. Jahrestages der ersten Rheinreise der „William-Turner-Platz“ in St. Goar eingeweiht. An dieser Stelle im Boden direkt am Flussufer befindet sich zudem die „10. Turner-Bronzeplatte“, die auf dem von der EU geförderten Kulturprojekt „William-Turner-Route“ basiert. Zur lebendigen Erinnerung und interaktiven Begehung markieren insgesamt 26 Standorte die künstlerischen Stationen des Malers bei der Erkundung des „Oberen Mittelrheintals“.
Bronzeplatten im UNESCO-Welterbe
Das UNESCO-Welterbe „Oberes Mittelrheintal“ erstreckt sich von Rüdesheim und Bingen im Süden, über den Loreleyfelsen bis nach Koblenz im Norden. Mit 67 Kilometern macht es zwar nur rund fünf Prozent des gesamten Flussverlaufs aus, wird aber vielfach als den schönsten Abschnitt des gesamten Rheins zwischen Alpen und Nordsee bezeichnet. Inspiriert von zeitgenössischen Gedichten und Romanen war William Turner vom 21. bis 29. August 1817 auf beiden Seiten des Rheins überwiegend zu Fuß sowie teilweise mit Fähre und Schiff unterwegs. Der „Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal hat die Malstandorte ausgewählt, um sie als historische Dokumente zu verewigen.
Die Umsetzung der Turner-Route erfolgte bisher mit 19 bronzenen Info-Bodentafeln von jeweils 100 cm Durchmesser an instagramfähigen Aussichtspunkten. Maximilian Siech, Projektmanager des Zweckverbands, erklärt dazu: „Die Intention unserer William-Turner-Route ist es, die Kunst und die Künstler der Rheinromantik vor Ort sichtbar und erlebbar zu machen. Die Idee stammt vom promovierten Künstler Armin Thommes, der gebürtig aus dem Mittelrheintal die Malstandorte Turners im Rahmen seines Kunststudiums identifiziert hat. Seine Idee haben wir verbandsseitig aufgegriffen, um zusammen mit der Darmstädter Markenagentur Schuhmacher das Konzept der William-Turner-Route mit Webseite, Printmaterialien und Bronzeplatten zu entwickeln.“
In Reminiszenz an Turner-Romantik
Auf den Bronzeplatten laden stilisierte Fußabdrücke zum Begehen und Verweilen ein. Besonders das kurze Innehalten vor imposanter Rheinkulisse regt zu poetischen und emotionalen Empfindungen an. So sorgt in St. Goar praktischerweise die 11. Turner-Tafel direkt unterhalb der Burg Rheinfels für Inspiration pur und erinnert an die leidenschaftliche Stimmung William Turners. Mit offenen Augen auf Turners Spuren wandeln, um seine Sichtweisen und Positionen zu verstehen, könnte das Motto für einen zeitlosen und nachhaltigen Perspektivwechsel lauten.
Englischer Blick im Museum
Mit buchstäblich zukunftsweisendem Weitblick lässt Mittelrheintal-Manager Siech die Herzen von Romantik-Fans höherschlagen, denn er verweist auf die neue Ausstellung „Too beautiful! Der englische Blick auf den Rhein“, die derzeit im Siebengebirgsmusem in Königswinter und ab Ende März 2025 im Koblenzer Mittelrhein-Museum zu sehen ist. Dazu gehören neben Gemälden und Zeichnungen auch historische Reiseliteratur von Rheinaufenthalten, wie etwa die des Dichters Lord Byron (1788-1824), der als einer der Hauptvertreter der englischen Romantik gilt.
Text/Fotos: Ariane Günther
Die „William-Turner-Route“ im mythisch-mystischen Mittelrheintal markiert einen Abschnitt der Epoche der Romantik, deren Sujets von der Suche nach dem Magischen, Übernatürlichen und Wunderbaren geprägt waren. Die Inszenierung von Verklärung zwischen etwa 1790 und 1850 wird heute kulturgeschichtlich als Reaktion auf den rasanten Technologiefortschritt und die damit einhergehende Dynamik der Industrialisierung gedeutet. Der Mensch empfand eine mögliche Entgrenzung und Entmachtung durch Maschinen, was kontextuell aktuelle Aspekte beinhaltet.
Tendenzen und Entwicklungen der laufenden Dekade zu interpretieren, schließt Konfliktfelder wie Migration, Wirtschaftsmechanismen und nicht zuletzt auch Digitalisierung mit ein. So steht Turner am Rhein – vergleichbar mit Caspar David Friedrich auf Rügen mit der 2024er Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle zum 250. Geburtstag – für die Moderne und sinnbildlich für eine neue Zeit. Die Popularität William Turners lässt sich mit der romantischen Abkehr vom Alltag erklären. Die Innerlichkeit der Rheinromantik als Haltung beweist damit progressives Zukunftsdenken.
Nützliche Links:
www.turner-route.de
www.nationalgallery.org.uk
www.welterbe-mittelrheintal.de
www.romantischer-rhein.de
www.rheinburgenweg.com
www.rlp-tourismus.com






